Der Kommentar im Hammel
Die USA haben unsere uneingeschränkte Solidarität. Aber das
kann nicht heißen, dass jede Kritik am amerikanischen Verbündeten
tabu ist. Die Abscheu über die Anschläge in USA und das Mitgefühl
mit den Opfern stehen nicht zur Debatte, darüber ist genug gesagt worden.
Auch das anfangs bedächtige Vorgehen der Amerikaner und das Bemühen
von Außenminister Colin Powell um eine weltumspannende Allianz gegen
den Terrorismus muss unsere Zustimmung finden. Doch sollte die Frage gestattet
sein, ob zur Ergreifung einiger weniger Drahtzieher (wie schon im Golfkrieg
oder auf dem Balkan) Hunderte Unschuldiger als "Kollateralschäden" ihr
Leben lassen müssen.
Wenn man die Berichte und Hintergrundinformationen zum amerikanischen
Vorgehen richtig deutet, so macht sich derzeit weltweit ein Unbehagen breit
bei dem Gedanken, dass die USA wieder wie schon so oft ihre Interessen ohne
Absprache mit den Verbündeten und ohne Rücksicht auf Dritte
durchsetzen. Um nicht falsch verstanden zu werden: ich gestehe den Vereinigten
Staaten durchaus das Recht zu, sich zu verteidigen und die Schuldigen für
die Attentate zu bestrafen, doch wie das zurzeit geschieht, ist nach dem
eher vorsichtigen Beginn für viele Menschen eine Enttäuschung.
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Von Tag zu Tag wird deutlicher, dass die Solidarität mit den USA
in den islamischen Staaten, die nach den Anschlägen von der großen
Bevölkerungsmehrheit getragen wurde, auf des Messers Schneide steht,
weil dort immer mehr der Eindruck entsteht, dass die USA im Gegensatz zu
den vorher gemachten Versprechungen nun doch einen Rachefeldzug gegen ein
islamisches Volk führen. Die Unverhältnismäßigkeit von
Ziel und Mitteln ähnelt für viele Muslime dem israelischen Vorgehen
im Nahen Osten, das sicher eine der Ursachen für das Anwachsen des
weltweiten Terrorismus darstellt. Den Diplomaten im State Department scheint
es ebenso wenig zu gelingen, die Falken im Pentagon in den Griff zu bekommen,
wie sie gescheitert sind bei dem Versuch, die Scharfmacher in der israelischen
Regierung zu bremsen. Wenn wir es nicht schaffen, die islamische Welt davon
zu überzeugen, dass es der Westen ehrlich mit ihr meint, wird es bald
ein böses Erwachen geben. Hier wartet eine große Aufgabe für
eine gemeinsame Außenpolitik der europäischen Union. Insbesondere
muss so rasch wie möglich ein umfangreiches Hilfsprogramm für die
afghanische Bevölkerung zustande kommen. Und dass es im Nahen Osten
nicht so weiter gehen kann mit dem Grundsatz Auge um Auge, Zahn um Zahn,
dürfte jedem Fernsehzuschauer klar sein.
Peter Böttger
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