Diesen Stoßseufzer kann man, wenn man den Medien glauben darf,
zurzeit landauf landab, von Jung und Alt, unabhängig von Beruf und sozialem
Status hören. Zwei Monate, nachdem eine Mehrheit der Wähler der
Regierungskoalition das Mandat zur Fortführung ihrer Politik gegeben
und die SPD wieder zur stärksten Fraktion im Bundestag gemacht hat,
scheinen viele dies schon zu bereuen. Noch vor Ablauf der Hunderttagefrist,
die man üblicherweise einer neuen Regierung - auch, wenn es die alte
ist - zugesteht. Was ist geschehen?
Geht man von der veröffentlichten Meinung aus, befindet sich Deutschland
in einem Strudel des Niedergangs, und die Regierung, die das Schiff
Bundesrepublik durch ihre Politik der letzten vier Jahre da hinein
manövriert hat, findet kein Rezept, es wieder ins sichere Wasser zu
lenken. Wahr an diesem Bild ist, dass sich die Wirtschaft weltweit in einer
Krise befindet, die in den USA - nicht zuletzt durch den Vertauensverlust
der Anleger und Konsumenten wegen krimineller Machenschaften bei einigen
großen Unternehmen des Landes - ihren Ausgang nahm und sich wegen der
Vernetzung der Weltwirtschaft auch auf Europa auswirkt. Leider verhalten
sich in solchen Situationen nicht nur die Staatshaushalte sondern auch die
Unternehmen zyklisch anstatt, wie es die Makroökonomie fordert,
antizyklisch: Das einzige Mittel, das man dort kennt, ist Kostensenkung auf
Teufel komm ´raus, d.h. Abbau von Arbeitsplätzen.Durch Rückgang
des Konsums führt dies zu einer weiteren Abschwächung der
wirtschaftlichen Tätigkeit und - wegen fehlender Steuereinnahmen - zu
einer wachsenden Verarmung der öffentlichen Hand. Diese Entwicklung
kann man nicht nur in Deutschland sondern auch bei unseren Nachbarn sehen.
Nur haben diese nicht die immer noch gewaltigen Kosten der Folgen der
Wiedervereinigung zu tragen. Doch nimmt auch in Frankreich und Italien
(konservativ regiert!) das Defizit in den Staatskassen zu - von Portugal
ganz zu schweigen.
Was haben nun die Neunmalklugen, die sich am lautesten in den Medien zu Wort
melden, als Lösung anzubieten? Der Staat soll noch mehr sparen und zwar
am besten bei den Schwächsten der Gesellschaft, die auf die
Solidarität der Leistungsfähigen angewiesen sind: Kürzung
bei Sozialleistungen wie Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und Anhebung
des Eigenanteils bei den Krankheitskosten. Was dabei eingespart wird, soll
als Steuersenkung denjenigen gegeben werden, die am ehesten in der Lage sind,
die augenblickliche Krisensituation zu überbrücken. Angeblich
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schaffen die damit Arbeitsplätze, nur haben wir bisher nach
Steuersenkungen immer vergeblich auf neue Arbeitsplätze gewartet. Ja,
heißt es dann, der Arbeitsmarkt in Deutschland sei nicht genügend
dereguliert (was allerdings noch stärker für Italien und Frankreich
gelten müsste).
Ein deregulierter Arbeitsmarkt heißt, die Arbeitgeber haben freie Hand
bei Lohn und Kündigung, wie z.B. in den USA. Wie es dort zugeht, kann
man in dem Buch "Arbeit poor" von Barbara Ehrenreich nachlesen, die aus eigener
Erfahrung berichtet, wie man im Dienstleistungsbereich mit einem Job nicht
auskommt, um die Ausgaben für Wohnung und Unterhalt zu bestreiten, von
Krankenversicherung und späterer Rente gar nicht zu reden. Um deutschen
Arbeitnehmern solche Verhältnisse zu ersparen und trotzdem mit den (im
Gegensatz zu Behauptungen der Opposition nicht hausgemachten) augenblicklichen
Schwierigkeiten fertig zu werden, versucht die Koalition die notwendigen
Lasten möglichst auf viele Schultern zu verteilen. Da hiervon fast jeder
von uns betroffen ist, ist auch fast jeder unzufrieden. Um aber wirkliche
Reformen angehen zu können, muß in dieser
Situation erst die Notbremse gezogen werden.
Bleibt der Vorwurf, Rot-Grün habe dem Wähler vor der Wahl die trostlose
Situation verschwiegen Nun haben Wahlkämpfe ihre eigenen Gesetze:
Wahrheiten, die man verkündet, kommen oft verklausuliert daher. Wir
meinen aber, dass es jedem klar war, dass alle Aussagen zur Finanzsituation
unter dem Vorbehalt einer anziehenden Konjunktur und sinkenden Arbeitslosenzahlen
gemacht wurden. Dies gilt für Regierung und Opposition gleichermaßen.
Hinzu kommt, dass die Wirtschaftsentwicklung in starkem Maße von Stimmungen
und Erwartungen abhängt, so dass die Regierung darauf bedacht sein
muß, die von den Medien maßgeblich erzeugte Stimmung nicht noch
mehr zu verschlechtern.
Was Steuererhöhungen angeht, ist festzustellen, dass Maßnahmen
wie der Subventionsabbau, die zu mehr Steuergerechtigkeit führen, mit
anderen Augen zu betrachten sind, als beispielweise eine jeden Bürger
betreffende Erhöhung der Mehrwertsteuer, die uns hoffentlich erspart
bleibt.
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