Im April veranstaltete der Tammer SPD- Ortsverein zum 13. Mal ein
Tammer Gespräch, das unter dem Motto "Kindergarten zwischen
Kindheit und Lernfabrik" stand. Das Thema war gut gewählt,
die Ortsvereinsvorsitzende Elke Kohler konnte sich in ihrer Begrüßung
über einen vollen Saal freuen, zahlreiche Eltern, Elternvertreter
und Erzieherinnen waren erschienen.
Nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler beim PISA-
Test stellt sich die Frage nach Konsequenzen in der Bildungspolitik.
Während viele glauben, das Problem durch Reformen in der Grundschule
oder im Gymnasium lösen zu können, stellte der Ortsverein
die Frage nach den Konsequenzen für die Kindergärten.
Die Vorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion Sonja Hanselmann-Jüttner
formulierte an die drei anwesenden Referentinnen daher die Frage,
was Kindergärten eigentlich sein sollten: Vorbereitung auf
die Schule oder Ort unbeschwerten Spielens?
Ulla Haußmann, Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Arbeitskreises
Sozialpolitik der SPD Baden- Württemberg, erläuterte in
ihrem Vortrag das neue Kindergartengesetz der Landesregierung, das
zum 2004 in Kraft tritt, und die Position der SPD. Zunächst
wies sie darauf hin, dass Kinderbetreuung nicht nur Sache von Bildungspolitikern
sei, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie kritisierte
das in Baden-Württemberg besonders hohe Defizit bei Kinderhorten,
für das sie alte Ideologien, wonach Frauen an den Herd gehören,
verantwortlich machte. Diese Vorstellung sei bei CDU wohl noch immer
verbreitet. Das neue Kindergartengesetz legt die Verantwortung für
die Kinderbetreuung in die Hände der Kommunen. Damit schiebe
die Landesregierung die Verantwortung ab. Für die Eltern habe
das zur Folge, dass sie ihre Ansprüche in Zukunft vor der Gemeinde
vertreten müssten. Verschlechtern würde sich durch das
neue Gesetz auch die Lage von nichtstaatlichen Einrichtungen wie
Waldorf- und Montessori- Kindergärten, da sie weniger Zuschüsse
erhalten. Sie kritisierte das Fehlen von Mindestqualitätsstandards.
Auch sei der finanzielle Beitrag des Landes zu gering.
Dem stellte sie das Konzept der SPD gegenüber, das auf ein
umfassendes Kinderbetreuungsangebot für Kinder von 0 - 14 Jahren
setzt. Während das Land nur auf eine freiwillige Sprachstandsdiagnose
setzt, fordert die SPD diese kostenlos und verpflichtend. 20 Prozent
der Kinder bedürtten einer beonderen Förderung, so Haussmann.
"Mit freiwilligen Angeboten kann man diese oft nicht erreichen."
Anstatt Erlöse des Landes in eine Landesstiftung einzustellen,
sollen diese Gelder zur Schuldentilgung verwendet werden. Die dadurch
eingesparten Schuldzinsen sollten in die Bildung investiert
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werden. Die SPD fordere zudem bessere Weiterbildungsmöglichkeiten
für Erzieherinnen.
Petra Kilian, Leiterin einer Kindertagesstätte und Vorsitzende
der Fachgruppe "Sozialpädagogische Berufe" in der
GEW, setzte sich mit den Konsequenzen der PISA-Studie für Kindergärten
und die Ausbildung von Erzieherinnen auseinander. Das neue Kindergartengesetz
bezeichnete sie als Rückschritt. Sie forderte, die Erkenntnisse
der Forschung und die Folgen des gesellschaftlichen Wandels in der
Bildungspolitik zu berücksichtigen und die Mittel weniger für
Reformen im Gymnasium, sondern verstärkt im frühkindlichen
Bereich einzusetzen: "Nie wieder lernt man so leicht."
Kindergärten dürften weder Lernfabrik noch Ort reinen
Spielens sein, meinte sie in Bezug auf das Thema des Gesprächs.
Die Frage stelle sich, ob es schulfähige Kinder oder eine kindfähige
Schule geben müsse. Sie forderte, die Rahmenbedingungen für
Erzieherinnen zu verbessern: Die Gruppengröße müsse
reduziert, die Ausbildung der Erzieherinnen an die Fachhochschule
verlegt und bessere Fortbildungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Tanja Volz vom Gesamtelternbeirat der Tammer Kindergärten
erläuterte die Wünsche und Befürchtungen der Eltern
und beschäftigte sich mit der Frage, wie Elternarbeit im Kindergarten
zukünftig aussehen könnte.
Es sei wichtig, dass der Kindergarten auf die Schule vorbereitet.
Paukerei wie in der Schule lehnte sie jedoch als Mittel ab. Zur
Früherkennung von Schwächen und zur Vermittlung von Sprachkompetenz
sei mehr und gut ausgebildetes Personal notwendig. Das neue Kindergartengesetz
kritisierte sie als völlig undurchschaubar.
Die anschließende Diskussion, ein zentrales Element im Konzept
der Tammer Gespräche, führte zunächst zu der Erkenntnis,
dass sich die Situation der Kindergarten nur durch Engagement der
Betroffenen verbessern lasse. Dies gelte umso mehr, wenn die Kinderbetreuung
bald in der Verantwortung der Gemeinde liegen wird.
Ausführlich wurde auf die Frage "schulfähiges Kind
oder kindfähige Schule" eingegangen. Einig war man sich,
dass der Kindergarten keine Lernfabrik sein dürfe und dass
Sprachförderung ein wichtiger Bestandteil sei, an dem täglich
gearbeitet werden müsse. Im Publikum anwesende Erzieherinnen
wiesen darauf hin, dass Lernen nicht nur schulisches Lernen sei,
und dass auch spielerische Formen zu einem Lernprozess führten.
Sonja Hanselmann- Jüttner stellte ihr Fazit unter dasStichwort
Vernetzung und sprach sich für eine enge Zusammenarbeit zwischen
Eltern und Erzieherinnen, Kindergärten und Schulen sowie Eltern
und Kommune aus.
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